Bommels Horrortrip

Diese Geschichte beginnt Ende Oktober. Die Bäume lassen die Blätter fallen. Es wird früh dunkel, die Nebel ziehen auf und es ist unbehaglich nasskalt. Da fühlt man sich doch im warmen, kuscheligen Zimmer am wohlsten.

Ich verspreche diese Geschichte, wird etwas gruselig.

Bommel und Ozielito liegen in ihren Bettchen und schlafen friedlich den Schlaf der Gerechten. Ozielito schnarcht hingebungsvoll vor sich hin. Ab und zu grinst er genüsslich. Während Bommel schweißgebadet stöhnt, um Luft ringt und mit seinen Flügeln wild um sich schlägt. Marie bleibt das nicht verborgen. Sie stupst ihn sanft an. „Bommelchen, was ist denn los?“ Der blinzelt mit einem Auge und stöhnt: „ Mensch! Marie! Ich hatte einen fürchterlichen Alpraum! Sind sie noch da?“ „Wer ist noch da?“ fragt Marie erstaunt. „Na, die Toten, die Skelette, die Zombies, die Geister! Hilfe!! Sie wollen mich holen!“

Ozielito, der durch den Lärm von Bommel aufgewacht ist, schaut verschlafen in die Gegend. „Was ist denn los?“, fragt er brummig. „Bommel hatte einen Alptraum“, erklärt Marie. „Mann, und ich habe so schön geschlafen“, knurrt er. Neugierig geworden, fragt er Bommel: „Was haste denn so schlimmes geträumt? Erzähl doch mal!“

Und Bommel beginnt zu berichten:

„Ich war auf einem Friedhof. Es war tiefdunkle Nacht. Unheimliche Geräusche erfüllten die Luft. Blitzartig stiegen viele bunte Lichter aus der Erde auf. Sie beleuchteten die Gräber. Laute gruselige Musik ertönte. Plötzlich kamen unheimliche Gestalten auf mich zu marschiert. Das Ganze sah aus, wie ein Karnevalumzug. Aber dann, sah ich es; diese Geschöpfe, waren Skelette!!! Totenköpfe schauten aus ihren Verkleidungen heraus! Auch Hunde- und Katzenskelette liefen mit! Mann! Mir wurde ganz anders! Ich bin ja, wie ihr wisst, wirklich kein Schisser!! Aber das war eine Nummer zu viel! Blitzschnell versteckte ich mich hinter einem Grabstein. Doch zu spät! Einer dieser Gestalten entdeckte mich, nahm mich in seine Skelettfinger und hob mich hoch: „Ja wen haben wir denn da?“ fragte er mit einer Grabensstimme: „Ich bi...bi...bin der…der Bommel!“ stotterte ich. „Und, was machst du hier?“ wollte das Knochenmonster wissen. „Wa…wa.. weiss auch nicht. Plö..plötzlich war ich hier!“ „Na, du scheinst ja die Hosen voll zu haben! “ kam es von dem Skelett süffisant zurück. „Hey! Leute! Schaut mal wen ich hier habe! Ein kleines Wollknäuel, Namens Bommel. Wollen wir mit ihm ein bisschen spielen?“ rief er seinen Kumpanen zu. „Her mit dem Wollknäuel!“ Und schon flog ich durch die Luft, zum nächsten Skelett. Gott sei dank! In diesem Moment weckte Marie mich auf.“ beendet Bommel seinen gruseligen Bericht.

 

Ozielito hört sehr interessiert zu. Er beginnt zu schmunzeln: “Was haben wir denn heute für ein Datum?“, fragt er. „Wieso fragst du das denn jetzt?“ will Bommel wissen. „Und was hat das mit meinem Alptraum zu tun? He?“ „Das frage ich mich auch gerade“, wundert sich Marie. „Heute ist der 31. Oktober, warum?“ „Ah ja! Ganz klar, heute ist Dia de los Muertos. Bei dir sind heute Nacht die Toten auferstanden.“ grinst Ozielito. „Du Spinner!“ schimpft jetzt Bommel, „was ist das überhaupt: Dia de…., was für`n Ding?“ „Madonna mia! Das heißt Dia de los Muertos!! Auf gut Deutsch: das Fest der Toten. Das ist ein hoher mexikanischer Feiertag.“ „Hab ich noch nie was davon gehört“, knurrt Bommel. „Na dann will ich es dir mal genau erklären, mein Dicker!“ „Selber Dicker!!“ brummt Bommel zurück.

Ozielito beginnt genüsslich zu referieren:

„Der Día de Muertos in Mexiko blickt auf eine lange Tradition zurück. Am Tag der Toten, kommen die Verstorbenen zurück aus dem Jenseits, um gemeinsam mit ihren Liebsten ein fröhliches Wiedersehen, mit gutem Essen und Musik, zu feiern. Der Tod wird nicht als Ende des Lebens gesehen, sondern als Anfang eines neuen Abschnitts.

Die verschiedenen Tage, beziehungsweise Nächte, sind für unterschiedlich Verstorbene. So kommen in der Nacht vom 31. Oktober die Kinder, Angelitos (Engelchen), zu Besuch. In der Nacht darauf die verstorbenen Erwachsenen.

Diese Tradition kommt von den Maya und Azteken. Sie lebten im Süden von Mexiko. Daher wird der Tag der Toten im Norden von Mexiko weniger gefeiert.

Traditionell errichten die Familien für ihre Verstorbenen Altare, in ihren Wohnungen ein, um ihnen zu gedenken.

Auf keinem Altar dürfen die vier grundlegenden Elemente der Natur fehlen, diese sind: Wind, gekennzeichnet durch buntes Papier, Erde, repräsentiert durch Früchte und Samen und Feuer, dargestellt durch Kerzen und Wasser. Für die Verstorbenen werden extra ihre Lieblingsspeisen gekocht und es werden jede Menge kulinarische Köstlichkeiten angeboten. Natürlich gibt es auch viele Süßigkeiten, wie Zucker-Totenköpfe (calaveras de dulce), das Totenbrot (pan de muerto) und Skelette aus Marzipan. Religiöse Symbole wie Kreuze, Jungfrauenstatuen oder Rosenkränze sind auch sehr wichtig.

Die Ofrenda (Altar) ist in drei Stufen aufgebaut. Auf der obersten Stufe steht ein Foto der Person, für welche der Altar gemacht wurde. Auf der zweiten Etage werden Dinge platziert, die diese Person gerne mochte. Meistens ist es das Essen, bei Kindern auch Spielzeug und bei Erwachsenen können auch schon mal Tequila oder Zigaretten auf den Altar zu finden sein. Auf der untersten Stufe stehen Kerzen und meist eine Schüssel mit Wasser, damit sich die Verstorbenen bei ihrem Besuch waschen können.

Auf den Friedhöfen wird im Kreise der Familie gefeiert, getrunken und getanzt. In Deutschland würdest du dir, bei so einer Aktion, eine saftige Geldstrafe einhandeln. In Mexico ist das Tradition. So verschieden sind halt die Kulturen. Ich könnte zu diesem Thema noch stundenlang referieren, aber ich denke, für den Moment reicht es.“

Selbstzufrieden lehnt sich Ozielito auf sein Kuschelkissen zurück und wartet auf Applaus.

Soviel Informationen müssen Bommel und Marie erst mal verdauen. „Ach“, seufzt Ozielito verträumt: „Ich wäre so gerne mal bei diesem Fest dabei! Aber, in diesem langweiligen Deutschland gibt es so etwas ja nicht!“ „Das stimmt nicht so ganz, Ozielito!“ weiß Marie: “Auch in Deutschland gibt es Mexikaner. Ganz in der Nähe von uns, in Wolfsburg, leben viele von ihnen. Ich werde mich mal erkundigen. Sicher gibt es dort einen Verein, wo sie ihre Traditionen leben.“

Gesagt getan, Marie macht sich im Internet schlau. Wozu gibt es denn schließlich Google. Und siehe da, es existiert tatsächlich ein mexikanischer Verein in Wolfsburg. Sie nimmt Kontakt auf und bekommt sofort eine herzliche Einladung zum Fest. Das ist schon morgen! Da ist jetzt Spontaneität gefragt!

„Leute“, verkündet Marie: „ Morgen geht es nach Wolfsburg zum Dia de Muertos! „Ozielito stimmt spontan eine Arie der Freude an. Bommel bekommt vor Schreck nur ein „Ohne mich!!!“ über die Lippen.

Die Anreise mit dem Zug lief fast problemlos. Ozielito verfiel in seinem mexikanischen Temperament. Er trällerte pausenlos in den schönsten Tönen. Was Bommel fürchterlich auf den Wecker ging. „Kannst du dieser Sirene nicht mal den Schnabel zukleben, Marie?“, maulte er. „Ach lass ihn doch, er ist halt glücklich“, gab Marie zur Antwort. „Glücklich? Pah! Glücklich, und was ist mit mir?! Ich bin nicht glücklich! Ich bin sauer!“ knurrte er zurück.

Wir erinnern uns? Bitte nicht vergessen! Bommel, Ozielito und Marie kommunizieren nur gedanklich miteinander! Der Rest der Menschheit bekommt davon nichts mit. Ich denke, ab und zu muss ich das mal wieder erwähnen.

Am Bahnhof wurde Marie schon von Penelope und Miguel, einer kleinen Delegation des Mexikanischen Vereins, erwartet. Obwohl sie sich noch nicht kannten, wurde sie so herzlich empfangen, als wären sie schon alte Freunde. Das ist die mexikanische Mentalität! Über die freundschaftliche Begrüßung, war sogar der Bommel erstaunt.

Sie fuhren in eine kirchliche Gemeinde. Dort war ein Saal für die Festlichkeiten hergerichtet. An einer Wand stand sie: die Ofrenda! Ozielito war nicht mehr zu halten. Er sauste auf die Ofrenda zu. „Och wie wunderschön!“ rief er entzückt und kletterte an ihr empor. Wir erinnern uns, ganz oben stehen die Fotos der Verstorbenen. Ozielito begrüßte jeden ehrfürchtig. Die zweite Etage war den Vorlieben der Toten gewidmet. Auch hier schaute Ozielito sich genau um. „Oh, Senora! Sie bevorzugten Zigarren und Tequila? Wie interessant!“, schmeichelte er einem Foto, einer hübschen Dame. „Und sie Senior, liebten die Musik, nicht war? Ich erkenne es an den Mariachi (das ist ein mexikanischer Volkslieder Sänger). Soll ich ihnen eine Arie von Turandot vorsingen, ja? Ich tue es sehr gerne.“ Es dauerte gar nicht lange und Marie sowie Bommel hörten Ozielito aus vollem Herzen schmettern: „Nessum Dorma“ aus der Oper Turandot. Wie es der Senior auf dem Foto fand, werden wir nie erfahren. Marie jedenfalls, war sehr gerührt vom Gesang ihres kleinen mexikanischen Opernsängers.

Marie half beim Eindecken der Tafeln. Bommel natürlich immer mit dabei. Sie stellte Körbe, mit einer Art Brötchen, auf die Tische. „Die sehen aber lecker aus!“ sprach Bommel „Muss ich gleich mal kosten!“ Und schon schob er sich blitzartig ein Stück von den Brötchen in den Mund. Während er genussvoll mampfte, erklärte Penelope, Marie: „Was du gerade auf die Tische trägst ist das Pan de Muerto. Das Brot der Toten. Das ist ein Hefegebäck. Die Form symbolisiert das Herz der Toten und oben sind die Knochen von der Toten dargestellt. Das Gebäck ist euerm Lebkuchen gleichzusetzen. Das darf ja auch bei euch nicht zu Weihnachten fehlen.“ Wie Bommel das hörte, spuckte er vor entsetzen seinen, gerade noch leckeren Brötchenbrei, in hohen Bogen aus. Gott sei Dank, konnte das niemand sehen. Marie war aber auch sichtlich erschrocken über diese Tradition. „Soll das heißen, ihr esst eure Toten?“ fragte sie erschrocken. „Na ja, nicht so ganz, aber dadurch fühlen wir uns mit ihnen verbunden“, erklärte Penelope. Maries Toleranzgrenze war erreicht und Bommels schon lange. Traditionen hin oder her. Bommel fühlte sich in seinem Alptraum zurück versetzt. Zumal hier auch noch einige geschminkte Skelette herumstanden! Er wollte nur noch weg hier. Er sah Marie mit einem flehenden Blick an, der sagte: „Bitte, bitte! Lass uns hier verschwinden, aber schnell! Bitte!!“ „Das ist nicht so einfach, Bommelchen. Damit würden wir unsere Gastgeber vor den Kopf stoßen! Das möchte ich nicht. Wir müssen durchhalten, verkrümel dich in meine Tasche, bis wir gehen. O.K? Du bist doch ein tapferer Kerl!“ Und das erste Mal in Bommels Dasein, fügte er sich. Am frühen Abend verabschiedete sich Marie von ihren Gastgebern. Sie musste ja noch mit dem Zug wieder nach Hause. Ihre beiden „Jungs“ waren glücklich und dankbar. Der Eine, weil diese Tortur vorbei war, und der Andere weil es so schön war.

Ende